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Maria de la Pau Janer

3. Alemany [Fragment Orient, Occident]

Es war ein sonniger Morgen in Jerusalem, der Heiligen Stadt, der Verdammten Stadt. Es war im Land von Kanaan. Bei ihrer Geburt durchtrennte niemand die Schnur, die sie mit dem Körper ihrer Mutter verband, niemand badete sie mit klarem und sauberem Wasser, niemand wollte sie warm einwickeln. Jahwe sah sie, verlassen und voller Blut, und ließ sie groß werden bis sie schließlich zu einem wunderschönen Mädchen herangewachsen war. Dann bedeckte er mit seinem Mantel die Blöße von Jerusalem. Er kleidete sie ein und schmückte sie mit kostbaren Juwelen. Er gab ihr Mehl und Öl und Honig zu essen. Ihr Ruf eilte ihr in alle Länder voraus und der Ruhm der Stadt war sehr groß. Aber Jahwe fühlte sich betrogen von seiner Auserwählten. In seinem Namen und über fünfzig Jahrhunderte hindurch, gab es mehr als zehn Millionen Tote in Jerusalem. Die Einwohner der Stadt wurden deportiert, gekreuzigt oder waren als Sklaven hierher gekommen. Niemand weiß, auch heute nicht, welches todbringende Geheimnis in ihr wohnt.

Tarik fühlte die Wut wie Feuer in sich aufsteigen. Er kniete in der Dachkammer, noch hatte er nicht einschlafen können. Neben ihm hörte er das regelmäßige Atmen von Aisha und auch das ihres Kindes, fast nicht wahrnehmbar. Seit es geboren war, hatte er nicht wieder daran gedacht, an den Hass. Seit vielen Jahren hatte nichts seine Gedanken so stark abgelenkt. In den letzten Wochen, wenn er im Laden war und die Wünsche der Kunden nach auch noch so unbedeutenden Kleinigkeiten erriet, fühlte er sich fast glücklich. Aisha blieb währenddessen in der Dachkammer und erholte sich von der Geburt. Das Kind lag neben ihr in einer Wiege, die er selbst dort aufgestellt hatte und die er gerne hin- und herschaukelte. Mitten am Vormittag hob er die Augen gen Himmel, als ob er überprüfen wollte, ob es regnen würde und fragte sich, was die beiden da oben wohl machten, seine Frau und sein Sohn, in ihrer luftigen Rumpelkammer. Vielleicht stillte Aisha das Kind oder wiegte es mit ganz leise geflüsterten Liedern in den Schlaf oder erzählte ihm Geschichten. Wenn er an die beiden dachte, atmete er tief durch und wusste sie bei sich. Sie gehörten zu ihm. Deshalb musste er sie vor jedem Unheil bewahren.

Dieses Gefühl lenkte ihn eine zeitlang ab. Er vergaß die Sorgen, die ihn früher zu Geheimtreffen hatten gehen lassen, bei denen die Palästinenser ihrem Zorn Luft machten und Pläne für die Zukunft Jerusalems schmiedeten. Die Stadt, die ihnen gehörte und die man ihnen wegnehmen wollte. Durch das Kind war das alles in den Hintergrund gerückt. Als ob nichts anderes mehr wichtig wäre oder als ob eine dicke Binde ihm die Augen verdeckte. Er wünschte sich, dass diese Blindheit für immer andauern möge. Sie hätten ein ruhiges Leben führen können. Ein bisschen noch warten, bis Aisha und das Kind sich ganz erholt hätten und dann ein neues Leben beginnen, so wie sie es sich ausgemalt hatten. Manchmal dachte er, dass Jerusalem eine schreckliche Stadt war, fähig dazu, alle Wünsche zu unterdrücken, voller Geheimnisse; gleichzeitig aber begehrenswert wie reife Früchte oder wie eine Jungfrau. Unbezwingbar mit acht riesigen Toren, mit den Gassen, die sie bewohnten und in denen es keine Zukunft gab.

Er hatte die Gedanken vertrieben. Aber eines Morgens kehrten sie unvermittelt zurück, und all die Vorsätze Ruhe zu bewahren, waren verflogen. Die Vorstellung eines ruhigen Lebens an der Seite von Aisha und ihrem Sohn verlor an Kraft. Denn er musste sich eingestehen, dass das verlogen wäre. Sie hätten nie Recht auf Ruhe. Vielleicht würde es ihnen gelingen, die Elternrolle zu lernen, vorzutäuschen, dass nichts sie störte. Gleichzeitig würde das Haus mit ihnen altern. Aber das Altern der Wände wäre schlimmer als das eigene Altern, weil es bedeutete, dass sie auf den Raum, der ihnen gehörte, verzichteten. Wenn sie dann wie die anderen ihr Bündel schnürten und ihre Habseligkeiten zusammenrauften, die Traurigkeit aus ihren Augen wischten und aufbrächen, gäbe es keinen Weg mehr zurück.

Er hatte es an jenem Morgen bemerkt. Oft ereilen einen die wichtigsten Entscheidungen, die, die das Leben auf einen Schlag verändern, ganz unvermittelt. Als ob es in Wirklichkeit nicht wir selbst wären, die wir uns für das eine oder andere entscheiden, sondern uns das Leben selbst dazu drängte. Es muss Schuld daran sein, an unseren Irrtümern, denn es leitet uns mit unbeholfener Hand. Wir täuschen uns, und wissen dann nicht, ob das, was wir getan haben, unser freier Wille war oder Zufall oder ein himmlischer Einfall. Tarik blickte nicht gern zum Himmel hinauf. Er musste es nur auf dem Weg nach Bethlehem tun, wenn er den Schutz eines Torbogens suchte. Aber sogar dann war er in Gedanken eher den irdischen Dingen verbunden. Von seinem Verlangen benebelt, in Gedanken bei Aisha, fand er keine Zeit, sich himmlische Vorsehungen vorzustellen. Vielleicht wenn er den Lauf der Welt hätte vorhersehen können, hätte er kehrt gemacht und die Israelis vergessen. Er hätte wie die Alten sein wollen und hätte veranlasst, dass das Leben ohne größere Turbulenzen verläuft.

(Aus Orient, Occident, 1997, S. 125-127)

Aus dem Katalanischen übersetzt von katharina Wieland ©




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Institut d'Estudis Baleàrics