3. Alemany
I
Sieh an die Zeit,
den alten Meister der Falknerei,
wie er die Fleischbrocken sammelt und anhäuft,
womit er die Tage ernährt,
die der Tod hütet und festsetzt,
mit welcher Kraft er gen Himmel schleudert
den magischen Gegenstand der Liebe.
Wie der Herzschlag des Grunds aller Gründe
in der Nacktheit all dessen, das namenlos ist.
Immer dieselbe Geste:
er besitzen, du besessen werden.
II
Sagen wir Liebe.
Und in des Wortes
Blindheit, die uns den Schatten nennt,
zeichnen wir das Träumen der Körper.
Das verwandelte Fleisch.
Nackt.
Ganz wie das Licht, das auflodert
als Flamme aus Feuer und Fieber
in den verwüsteten Augen des Sterbenden.
Ohne zu wissen, wo die Liebe beginnt
und wo die Spur des Wahnsinns endet.
III
Lass das erste Licht des Morgens hin
bis zu dem Ort, wo der ganze Raum ein Brand ist.
Du wirst das Gemach bewohnen, den wilden Garten,
das Auge und die feuchte Wahrheit seiner Mitte.
Wie jener tierische Atem auf der Suche
nach der Aufzehrung des Schreis in der Stille.
(Aus: Jardí bàrbar [Wilder Garten], 1981)
* * *
LICHTER DES DIWANS
Sein Speichel löscht
	        den wildesten der Brände
	         Aus seinen Tritten sprudeln
		       goldene Kiesel
         *
			Das Blut
      (der Stichel               die Tinte)
             die Transparenz des geöffneten Fleischs
			
                              bei der Tätowierung
  			         *
Näher bei der Liebe
          unzerteilt
        die Umlaufbahn, die das röhrenförmige Feuer 
       des Fleischs zusammenschließt
	      Zitze der Angst und des Abgrunds
		     Näher bei dir
	        die Breiten des Seiltänzers
			
       *
		Hin zum Tod
			des Himmels
			Hin zur Asche
			des Meers
			        und
                             zum Blau meines Sextanten
			  Hin zu dir
		         Unverstand der Zeit
		         die kommen muss
(Aus: Divan [Diwan], 1982)
* * *
     ZUFALLSGRÜNDE
			                        I
unter dem hinfälligen Bauch des Himmels
die klaren Reiche der Höhe
Wolken die vorbeiziehen
die erste beleuchtet den Wahnsinn
die zweite ist das Lachen der Erhängten
wie ein saurer Schweinsrülpser die dritte
von der vierten steht nichts in den Büchern
Bring mein blutendes Haupt
auf einem Silbertablett
	          			              II
und während ihm ein Fluss aus dem Augengrund brach sprach er:
Wasser zu werden ist der Tod der Seelen
wie das Wasser stirbt durch Verwandlung in Erde
aus der Erde entsteht Wasser und aus dem Wasser die Seele
			(Aus: Raó d'atzar [Zufallsgründe], 1990)
* * *
NACH DER STUMMHEIT
     Du bist verstummt.
     Der Himmel
     ist ein Schluck
     warmer Milch
     wo mein Weinen
     zurückfindet
     zum Sodbrennen Gottes
     der Liebe und ihrem
     Schweigen
(Aus:  Llibre de la frontera [Buch von der Grenze], 2000) 
* * *
     HERZSCHLAG
	     Es schluchzt die Nacht
     zur Stunde des Verlusts.
     Du, mein immer verlorener
     Herzschlag,
     Du, der Zahn, der den Schrei
     und das Fleisch reißt,
     die niemand will.
     Du, sicheres Geschick
     meiner geheimen Insel
     auf abgedrifteter Fahrt.
     Das Leben krallt sich fest
     an der großen Lampe der Welt.
     Einzig glänzt das trübe Licht  
     einer Träne,
     klebrig und weiß,
     sauer wie die Milch
     der geronnenen Nacht.    
(Aus:  Llibre de la frontera [Buch von der Grenze], 2000) 
* * *
WENN DU FORTGEHST 
      Wenn du fortgehst
       und das Salz deiner Knochen
       sich auflöst wie die Wolken,
       werden Schatten und Luft
       mit Morgentautropfen
       die Wunde bedecken.
       Und zurückkehren wird das Geschlecht 
       des Schmerzes
       zur alten Musik,
       abgestorbenen Gewässern,
       Laichplätze
       der Zeit und der gelben Fische
       der Melancholie.
        
(Aus:  Llibre de la frontera [Buch von der Grenze], 2000) 
* * *
ASCHENFLUG
Träne oder Sperma
die einzige Helle
wo sie brennt
die auf den Karten
verlorene Insel
(Aus:  Llibre de la frontera [Buch von der Grenze], 2000) 
* * *
ZAYNAB BINT YUSUF (Lleida, 994 - 1072)
      
      Die Ruhe der Liebe ist die Erschöpfung
      (anlässlich eines Verses von Ibn al-Farid)
	Wenn einmal meine Zunge
        erschöpft dem Tod erliegt,
         geschieht es nur, weil sie dich ruft.
           Wenn du mich rufst,
      verschließt das warme Echo deines Atems
       mit meinem deinen Mund.
      Zu spät ist es um mir zu widersprechen.
            Der Jagdhund bellt
      und die Ruhe der Liebe ist die Erschöpfung.
(Aus: Llibre de la frontera [Buch von der Grenze], 2000)
* * *
      Djemaa El-Fna
                                 Her terrace was the
                    sand
			                           And the palms and the twiligth?			                                                             
                                         WALLACE STEVENS
Hier herrscht der Traum Fitzcarraldos.
Marrakesch:
	                           über den Algen die Düne.
Wie ein flottgemachtes Schiff inmitten der Wüste.
Wie ein Abgrund, der sich öffnet über der Schwelle
der Stille.
	                  Welche Stunde haben wir?
Welches Antlitz vereint den Himmel und  die Irrfahrt
der Sonne?
	                    Die Stimme eines namenlosen Vogels?
Brian Sweenie Fitzgerald und der ganze Traum
des roten Fiebers, der Kautschukbaum
oder die Palme, Widerhall der stolzen Schönheit
Enrico Carusos.
		                   Dschungel oder Wüste,
der letzte Berg. Hier atmet
die schlaflose Sonne ihre Luft und wird ruhig.
Es ist die Zuflucht, die das Ende in sich birgt,
Phosphorboot 
		                    auf einem Palmenstrand.
Rot die Zeit und der Tonsand der Mauern.
Schartig alle Schiffe, die Reisen
sind gelb wie die Platterbsen am Weg,
Wurzeln, die herabsteigen zu den tiefsten Vertiefungen.
Schau nicht zurück.
		                               Schweig und sing
in dich hinein, betaste das ganze Rostgelb deiner Seele.
Denn dies ist das andere Land,
				                                         der andere
Platz, der auch dein ist, das Land
des Dornbuschs, der das Feuer beschattet ohne
zu verbrennen.
		                   Im dunklen Auge des Wasserhändlers pocht
die Düne, die Angst und der Hunger aller Tage.
Im Auge der Schlange, kalt wie das Blei,
das Unerreichbare, kriechend, die Zunge
fest verhaftet mit der todesfernen Spirale.
Halt ein.
	              Hier findet die Erinnerung  keinen Marder,
der im Innern ihres Baus wühlte.    
Der Marder ist tot und die Erinnerung weiß es.
Alles hängt am Baum, den das Leben 
pflanzte. 
	                Umsonst verirrst du dich, gehst,
versuchst dich am Hochseil des Nichts.
Umsonst, die Zunge entmastet
und der Gaumen schwer wie ein Stein.    
Unter der Stimme wächst dir der Durst ohne es zu wissen.
Hell, ohne Rast, entbrandet der Tanz
im Herzen des Platzes.
		                                      Die Zeit verschwimmt.
Unter den Gaslämpchen verdichten  
Orangenzweige den süßsauren Rauch
des Abends.
	                       Es gleiten die Körper,
				                                           es gleiten
Musik und Worte durch die löchrigen Zähne
des Märchenbändigers.
			                                Und mit einem Mal
dreht den Himmel, den Kreisel inmitten der Leere,
die Nacht, die den Westen hochsteigt und das Wiegenlied
der Samen in den Körben des Markts.
Und mit einem Mal, wenn die Nacht einfällt und alles aufsteht,
sagt dir der Blinde:
		                                   “Du hast einen blauen Fleck in den Augen”.
Dann, erst dann, in aufgehaltenem Zustand,
unbeweglich, spaltet sich das Herz unter der Erinnerung
wie ein Granatapfel.
		                                   Und alles bewegt sich.
Sogar dieses flottgemachte Schiff inmitten
der Wüste bewegt sich.
			                          Steig ein.
				                                            Nichts wird dir
fremd sein.
	                    Hier herrscht der Traum Fitzcarraldos.
(Aus: Enlloc [Nirgendwo], 2007)
Aus dem Katalanischen übersetzt von Claudia Kalász © 
 
 
