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Jaume Vidal Alcover
1923-1991

3. Alemany

Tu mi feristi, Amor: di te mi fido¹

LORENZO DE MEDICI

So wie der gute Vogel aufreißt seine Brust,
damit die Brut an seinem Blut sich labe,
mein Leben ich für dich geöffnet habe,
damit du draus gewinnst höchstmöglichen Genuss.

Bei diesem Festmahl rinnt ein flehender Fluss
unstillbar durstiger selbstloser Gabe,
wenn ich in deiner Blicke Tiefe bade,
wird gleich geheilt mein fedriger Verdruss.

Unter der Sonne funkelt rot mein Blut,
das dich in jedem Strahl umwirbt,
mein Herz verödend, und mich brennt die Glut

der heißen Lippen meiner offnen Wunde,
so dass, wenn du nicht trinkst, mir alles stirbt,
doch kommst du, leb ich neu zur selben Stunde.

¹Du hast mich verletzt, Amor: dir vertraue ich.

(Aus: Sonets a Eurídice [Sonette an Euridike], 1967)

* * *

Der verlorene Sohn nimmt seine Schuld auf sich

Nein. Ganz allein bin ich weggegangen und ganz allein muss ich zurückkehren.
(Vor jenen bin ich schon geflohen, vor den anderen fliehe ich jetzt.)
Niemand soll mich begleiten und niemand mich erwarten.
Den Streit muss ich mit mir allein austragen. Die Schuld
liegt nicht bei euch, die ihr doch gleich seid auf der einen und der anderen Seite.
Ich bin’s, der anders ist: die Schuld liegt ganz bei mir.
Niemandem werde ich einen Vorwurf machen: nicht dir, Vater,
der du weinst und lachtest doch über jenen Kummer,
auch dir nicht, angepasster Bruder, im Besitz der Schlüsselgewalt,
der du über das Wohl des Hofs wachst.

          Ich war
wie ein wildes Zicklein, einzig Herr meines Traums.
Sonst hatte ich nichts. Dehalb stritt ich für ihn
mit kaltblütigem Fleisch und geschärftem Geist.
Zwischen Tälern und Hügeln sah ich ihn, glücklich, wachsen;
einem Sturzbach gleich floss er vom höchsten Gipfel:
wie ein geflügelter Herzschlag kam er mit dem Sturm,
kam und blieb, ängstlich, in meinen Armen.
Manchmal sprach ich davon. Ihr habt mich nicht gehört.
Das ganze weite Leben, voller Licht und Schatten,
von Versprechen bebend, von Fragen, die
tief in ihrem Herzen vollendete Antworten enthüllen,
das ganze lebendige Universum mit all den gefügigen Dingen
war für euch nichts weiter als ein Haus,
eine sichere Mahlzeit und ein gewärmtes Bett.

Ich floh. Ich ging, Fleisch werden zu lassen meinen Traum,
er sollte die vollendete Antwort auf jeden Zweifel sein.
Aber vielleicht habt ihr Recht. Dort war
die Welt, genauso wie hier, das bloße und einzige Leben:
auch dort hatte niemand eine Ahnung davon, und mich hat
jene Blindheit körperliche Martern gekostet
und auch manchen Bissen meiner Seele. Ärmer kehrte ich zurück.

Wie kann ich mit euch sprechen, wenn ich nicht mehr weiß, was ich euch sagen soll,
- Vater, Brüder, Freunde, oh, glückliche, sichere Menschen! -
von all dem, was mich weg- und wieder zurückbringt, versucht bis ins Innerste,
und ohne mehr zu versprechen als ein unendliches Schweigen?
Lasst mich allein, bis das Schweigen lodert.
Wenn es euch genügt, ein Stück Leben mit mir geteilt zu haben,
trotz all meiner Verstrickung in Lieben und trotz der engen Maschen,
die nichts anderes hindurchlassen als Geschwätz,
so sprecht jetzt weder für noch gegen mich.
Neigt euch, Brüder: nicht mit euch liege ich in Streit.

(Aus: El fill pròdig [Der verlorene Sohn], 1970)

* * *

Der berühmte Sohn

Sagt nicht von mir, ich sei ein Dichter hoher Lyrik,
der ausschweifend geklagt in wohlgesetztem Maß,
der lang auf Ruhm geharrt, bis man ihn ganz vergaß,
was schließlich ihm erspart so eine Panegyrik.

Lobt mich mit Anstand, Sinn und schönen Formen,
wie sie preiswürdge Dichtung stets verlangt,
jetzt, wo ich tot bin, reicht versöhnlich mir die Hand
im Glauben an die Wahrheit überlegter Normen.

Die Wurzel des Gedichts sucht nicht, die Einsamkeit,
aus der es seinen Saft zieht - ihr müsst Worte wählen,
die jeder gleich versteht, und willig mit euch teilt.

Auf gute Wege lenkt ein Standpunkt, wo man klar sieht,
Löst nicht des Eisens Rätsel, das die Kette aufgibt,
Begnügt euch nur damit, die Glieder fein zu zählen.

(Aus: Sonets alexandrins [Sonette in Alexandrinern], 1981)

* * *

Ansprache

Mein Volk, oh, meine Leute! Ihr lacht und hört mir zu,
ihr setzt euch neben mich und ladet mich ein zu trinken,
Matratzenmacher Pep, der blonde Toni, verbitterte Leute,
die manchmal weinen, weil das Leben ihnen schlecht mitspielt,
Guillem, Biel (oh du, mein Biel, der so früh
erlebt hat, wie die Bluthunde der Ordnung ihn niedermachten!),
und du, der am Ende weint und mich beleidigt,
und du, der mich mit Herr anredet, aber mich vielleicht verachtet...
Ich würde lieber über euch schreiben,
an einem Tresen in der Kneipe, beim letzten Glas,
Sehnsüchte, Gefühlstiefs, Wörter,
die gefallen sind, zu schön, als dass jemand sich an sie erinnerte.
Aber meine Stimme ist angefüllt mit dieser ganzen Welt voller Menschen:
sie drängen mich zu sprechen und bringen mich zum Schweigen - was suchen sie?

Eines Tages werdet ihr noch erleben, wie ihr eine Herde anführt;
dann holt euch Erleuchtung weder bei mir, noch bei denen,
die mich nach ihrem Bild gemacht haben - trotz meiner Kultur
(ich weiß, wer Dante war), ungeachtet des Porzellans
(ich kann mir denken, wie viele Tausender das wert ist, was da zerschlagen wird)
trotz der Konzerte und der lyrischen Dichtung
(oh, der tiefe Nachhall jedes Worts!),
auch wenn der Verstand mich für die reine Mathematik bestimmt
(der Verstand reiht Körner abstrakten Kristalls auf),
trotz des goldenen Schnitts, der Tatsachen, der Namen und vieler
anderer äußerst vorbildlicher! Dinge, die ich zum Leben beigesteuert habe:

Das Blatt hat sich gewendet und wir haben das Spiel verloren.
Da braucht man weder verrückt noch ohnmächtig zu werden; wer verliert, zahlt!
Man hat mir beigebracht nie um Gnade zu bitten.
Ich komme nur um euch zu sagen, dass ich gehe und dass mich die Meinen
begleiten, diejenigen, die zu mir gehalten haben, ob sie wollten oder nicht.
(Man muss fast nichts dazutun, damit all das aufhört.)
Aber ihr bleibt, und ihr seid jetzt die Avantgarde.
Fordert mich nicht großzügig auf, mir doch Mühe zu geben und mich anzuschließen.
Ich könnte nicht mitmachen: zu weit bin ich abgekommen
von dieser so vorausgesagten Wende der alten Aufgabe.
Ich gehe mit den Meinen, die noch lachen, in so kurzer Zeit
Opfer geworden, dass niemand es glauben kann:
ich halte gern zu den Armen, die mir
von ihrem Elend gaben - und es für Reichtum hielten!
Schließlich besaßen auch sie - wie ihr -
einen unbefriedigten Körper, auch wenn sie es nicht sagten,
und tief im Herzen verschlossen einen Gram, und einige - das muss gesagt sein -
entfernte ein Anflug von Reue
vom Rudel... Aber muss ich euch die ganze Geschichte erzählen?
Ihr würdet doch nicht zuhören, sie wäre euch mehr lästig
als lieb. Nein. Geht ohne es euch zweimal zu überlegen.
Euer sind nun die Völker und die Götter. Los: gewinnt sie euch!

(Aus: Terra negra [Fruchtbarer Boden], 1970)

Übersetzung aus dem Katalanischen von Claudia Kalász ©

Amb el suport de:

Institut d'Estudis Baleàrics