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Joaquim Carbó

Deutsch [Unteregs]

Die Kurve ist gefährlich. Das weiß ich nur zu gut, weil sie es schon vor Jahren gewesen ist, als sie über einem ehemaligen Ziegenpfad errichtet wurde. Das Schild, das ein Tempolimit von vierzig Stundenkilometer vorschreibt, ist nicht zur Zierde da, aber der protzige Typ hinter mir nimmt darauf keine Rücksicht. Ich muss nicht einmal in den Rückspiegel schauen, um zu wissen wie er aussieht: selbstgefällig, mit nur einer Hand am Steuer seines Sportwagens, als hätte er alle Erfahrung der Welt und in Wahrheit besitzt er seinen Führerschein erst seit ein paar Tagen.

Man braucht sich nur vorzustellen, wie seine Augen glänzen, um zu erraten, was er in der Folge tun wird: Ohne böse Absicht, nur um seine Lebensfreude auszudrücken, drückt er auf die Hupe, damit ich ihn vorbeilasse. Ich kann aber überhaupt nicht darauf reagieren, weil wir uns bereits in der Kurve befinden. Die offenkundige Bescheidenheit meines Gebrauchtwagens scheint ihm das Recht zu geben, mich abzudrängen zu wollen, obwohl es völlig unmöglich ist, ihn an dieser Stelle vorbeizulassen, woraufhin ich auf ein wenig Geduld poche: „Junge, du wirst etwas warten müssen!?

Mir ist bekannt, dass sie eine neue Trasse planen, um Unfälle zu vermeiden, die ja nicht so schlimm ausgehen müssten, wenn alle Verkehrsteilnehmer die auf den Schildern vorgegebenen Tempolimits einhalten würden. Diesem Wahnsinnigen, der mir an die Stoßstange rückt, würde es wirklich gut tun, die vorgeschriebene Geschwindigkeit einzuhalten, um die je nach Sonneneinstrahlung wechselnden Grüntöne betrachten zu können, gerade jetzt, wo der Schnee schmilzt, im aufbrechenden Frühling. Diese Landschaft rührt mich an, und obwohl man das nicht sagen sollte, stelle ich doch fest, dass ich mich über die gut gemachte Arbeit freuen kann.

Heute gibt es ein ganz spezielles Licht. Alles scheint wie frisch gewaschen, so als hätte jemand meinen Besuch erahnt. Der Wind hat alles weggefegt und die Wolken vertrieben. Alles strahlt nach meinem göttlichen Maß. Die Berge zeichnen sich ebenso in der Ferne wie ein Meer ab, verdienten eine dreidimensionale Fotografie.

Das Spektakel wäre außergewöhnlich, gäbe es da nicht Durchgeknallte, die nicht schätzen können, was sie vor der Nase haben. Was wäre schon dabei, wenn ich nun ein wenig aufs Pedal stiege und diesem Wahnsinnigen zeigen würde, dass er mich nie und nimmer überrunden könnte, wenn ich nicht vom Gas gehe?

Ich möchte ihm kein schlechtes Beispiel geben. Er muss einfach lernen, sein Schicksal nicht herauszufordern: Die Kurve ist schwierig, aber gut beschildert. Die Leute werden nicht aus Schaden klug, weder durch die immer häufigeren Geldstrafen noch durch den Entzug ihres Führerscheins. Sie regen sich nicht einmal über die haarsträubenden Unfallstatistiken auf, die sogar mir, der schon einiges durchgemacht hat, eine Gänsehaut über den Rücken jagten.

Ja, und jetzt ist er noch näher an mich herangerückt. Er macht mir mit einer Hand alle möglichen ausfälligen Gesten, und das Lächeln auf seinem Gesicht zeugt von völliger Ignoranz. Für ihn bin ich ein Angsthase, ein Schleicher. Er bemerkt nicht, dass ihn schützen will, indem ich die Regeln einhalte und ihn nicht vorbeilasse. Er hält mit beiden Händen das Steuer umklammert und ist nur wenige Zentimeter von meiner Stoßstange entfernt, er könnte also einen Aufprall gar nicht vermeiden, sollte ich plötzlich aus irgendeinem Grund bremsen müssen: wegen eines Hundes, der die Straße quert, wegen einer vom Hang herunterrutschenden Kuh, oder wegen eines anderen Autos, das die Geschwindigkeit verringern muss...

Er ist alt genug um zu wissen, was auf dem Spiel steht, wenn er die Mittellinie überquert, nun, wo wir die Kurve hinter uns lassen. Ich erinnere mich an den freien Willen und weiche aus, damit er seinen Willen durchsetzt, weil ich feststelle, dass kein anderes Fahrzeug entgegenkommt. Ich lasse ihn handeln und bleibe aufmerksam und neutral. Die quietschenden Reifen verraten mir, dass er vorbeifährt. Und das tut er wie der Blitz. Ich will ihn nicht behindern und lasse ihm genug Raum für sein Manöver. Sie werden ihm schon bald genug die Ohren lang ziehen, sollte er noch einmal das Gesetz übertreten.

Hinter der Kurve verliere ich ihn aus dem Blickfeld, aber einen Kilometer danach kann ich mir nicht ein Grinsen verkneifen, als ich ihn auf der Straße neben seinem Auto stehen und mit den Männern auf den Motorrädern, die ihn wegen verschiedenster Übertretungen aufgehalten haben, diskutieren sehe.

Als er sieht, dass ich an ihm vorbeifahre, wobei ich strikt die für die gesamte Strecke wohlweislich vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalte, sehe ich, wie er mich aus den Augenwinkeln wütend beobachtet, und wenn er könnte, mir vorwerfen würde, ihm nicht den Weg versperrt zu haben, ohne zu begreifen, dass genau er das entschieden hatte. Ich werfe ihm nicht einmal vor, dass er mich für sein Unglück verflucht... In welche Kiste sollen wir denn die Freiheit verstauen, wenn bei der geringsten Gelegenheit alle einen Vater wollen, der alles kittet und beschützt. Ich wende mich ab und kümmere mich nicht weiter. Ich hoffe, dass die Strafe nicht allzu hart ausgefallen ist.

Jetzt kommt eine Gerade. Ich konzentriere mich auf die Landschaft. Die dunklen Schatten der Bäume heben sich über den Wiesen ab, die sich bis zu den Felsen erstrecken, wo die eiskalten Wasser entspringen, die in den Fluss hinabstürzen, der schimmert wie die Schuppen der Fische, die gegen den Strom springen.

Nein! Das kann nun wirklich nicht sein. Ich habe es geahnt, bevor ich es noch im Rückspiegel sah. Der ist komplett verrückt! Er braust auf Teufel komm raus wie ein Blitz dreimal so schnell wie erlaubt an mir vorbei. Er weiß es nicht oder will es nicht wissen, weil wir schon an dem Verkehrszeichen vorbeigefahren sind, das anzeigt, dass nun zwei sehr enge Kurven kommen, die mit dieser Geschwindigkeit nicht zu passieren sind. Ich wüsste gerne, ob er in der Lage wäre, seine Meinung zu ändern, Reue zu zeigen und rechtzeitig zu bremsen, um sich zu retten, aber seine Überheblichkeit kennt keine Grenzen. Alles ist nutzlos. Als er die Kehre genommen hat, bemerke ich, dass er mit einem schrecklichen Quietschen der Reifen in die erste der Kurven fährt; das Auto schlittert gefährlich. Er ist ein erprobter Autofahrer, aber um die zweite Kurve heil zu überstehen, könnte ihn nur ein Wunder retten, und wie wir alle wissen, verzichten wir in diesem Jahrhundert gerne auf sie.

Aber durch jenen unverantwortlichen Selbstmörder kommt auch der Fahrer nicht ungeschoren davon, der vorschriftsmäßig auf der Gegenfahrbahn langsam dahinfuhr und sah, wie ihm der andere den Weg abschnitt, so dass er schließlich als letzte Lösung nach rechts auswich. Damit hatte er zwar einen Frontalzusammenstoß vermeiden können, nicht aber, bergseitig von der Straße abzukommen, mit einem Rad an einem Baum und dem anderen einen halben Meter über dem Boden.

Der Schreckliche, der Kriminelle fährt schon in die zweite Kurve ein. Ich muss schon nicht mehr anhalten, um den anderen Hilfe zu leisten. Er hat wenig abbekommen, damit es nicht heißt, dass immer nur die Guten für die Schlechten bezahlen, und bewege mich zum Schauplatz der Tragödie.

Das Getöse sagt mir, dass hier etwas Gröberes passiert sein muss. Ich kann meinen Blick nicht von dem Abgrund wenden. Ich sehe, wie sich der Wagen überschlägt und in seine Bestandteile auflöst. Ein riesiger Felsen bremst den schrecklichen Sturz, und alles geht nach der Explosion in Flammen auf. Mehrere Autos haben neben mir angehalten, und so mancher steigt hinunter, um vielleicht helfen zu können. Ich werde gewiss nicht derjenige sein, der diese bewundernswerte und unnütze Geste der Solidarität aufhält, die mir bestätigt, dass alles noch nicht so verloren ist, wie es die Ungläubigen behaupten.

Nun steht der Junge neben mir, den ich schon kenne. Es ist der Verkehrssünder von vorhin, der sich nach Bezahlung seiner Strafe wieder auf den Weg gemacht hat. Und er betrachtet jetzt den viel höheren Preis, den man bezahlt, wenn man die Gesetze der Straße missachtet. Er schlägt sich die Hände an den Kopf. Er ist knapp davor, in Tränen auszubrechen, weil er begreift, dass er jetzt, hätten sie ihn nicht aufgehalten, dort unten wie eine Fackel brennen würde. Er sieht mich an, erkennt mich wieder, und ruft einfach aus: „Gott im Himmel!“

Obwohl ich inkognito reise, möchte ich mich nicht drücken. Ich drehe mich um und frage ihn leise: „Was willst du?“

(Frühling 1991)

Aus dem Katalanischen übersetzt von Theres Moser ©

Amb el suport de:

Institució de les Lletres Catalanes