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Jesús Moncada
1941-2005

Die Versinkende Stadt.

Deutsch [Die Versinkende Stadt]

Sie sprengen die Brücke — flüsterte Aleix, wobei er den Fluss von der Galerie des Klosters aus beobachtete—. Die Faschisten müssen schon ganz nahe sein.

Fast zeitgleich mit seinen Worten begannen sie durch den Lärm auf den Straßen hindurch Stimmen von Mitgliedern der Gemeindeverwaltung zu hören, die zur Evakuierung der Stadt aufriefen. Von diesem Zeitpunkt an war die Erinnerung von Malena ein einziges Wirrwarr: das fieberhafte Einpacken von Kleidung, Schmuck, Geld in einen Koffer, alles mit Hilfe von Anna; die sich mühsam voranbewegenden Menschenschlangen, die mit allerlei Utensilien beladen waren und die durch die sich zurückziehenden Militärfahrzeuge am Vorankommen behindert waren. Sie sah mehrmals den Lastwagen vom Bergwerk Segre, auf den die Parteiführer vor dem Sitz der Stadtverwaltung Ordner mit Dokumenten luden, die lange Menschenreihe, die sich zum Ebro hinunterzog. Die Hausangestellten drängten sich eng an der Hafenmauer zusammen, um die wenigen verfügbaren Feluken zu besteigen, die Hausherren versuchen Ordnung ins Chaos zu bringen. Es war nicht genug Platz für alle da; die Schiffe reichten nicht, es konnten nur Alte, Kranke, Frauen und Kinder darauf Platz finden. Eins nach dem anderen schob sich langsam den Ebro aufwärts —das Wasser schwappte fast über Bord— völlig überladen mit verängstigten Menschen; diejenigen, die keinen Platz mehr gefunden hatten, mussten über die Landstraße nach Lleida fliehen oder den Segre auf dem Brückchen auf der anderen Seite der Stadt überqueren.

Aleix bahnte sich einen Weg zum Kai de la Plaça zwischen Gruppen von Milizen. Nelson machte ihr und Anna Platz in seinem Schiff, dem letzten, das die Stadt verließ, als die Nacht schon über dem Tal hereinbrechen wollte, über dem bereits Granaten explodierten und das Pfeifen der Kugeln zu hören war. Die Brücke passierten im Zwielicht immer noch Silhouette von Soldaten, den letzten Nachzüglern. Verzweifelt betrachtete sie das Gesicht von Aleix, der sie vom Kai aus ansah, während die Feluke ablegte.

—Geh nach Barcelona, zu deiner Tante —rief er—. Ich hole dich dort ab.

Jemand brach neben ihr in Tränen aus, aber ein lautes Getöse, einem Trommelwirbel gleich, ließ die Klagelaute verstummen: die Pferde aus dem Bergwerk der Witwe von Salleres, denen der alte Stallbursche die Stalltüren geöffnet hatte, bevor er sich selbst auf den Weg gemacht hatte, galoppierten auf der Mauer am Ebro entlang, vom Tumult und vom Donnern der immer näher rückenden Explosionen völlig verrückt.

Die Feluke glitt durch das schwarze Wasser, das Gesicht von Aleix verschwamm in der Dämmerung. Als sie den Zusammenfluss von Ebro und Segre überquerten, zerrissen lodernde Flamen die Nacht und hüllte das Tal in blutrotes Feuer ein, wie eine viel zu frühe und zu schnell vorübergehende Morgenröte. Sie sprengten die Brücke in die Luft. Einen Moment lang sah es so aus, als ob die durch die Explosion verursachte Welle die Feluke beinahe zum Kentern brächte.
Aber Malena hörte weder die Schreckensrufe der zusammengepferchten Flüchtlinge auf dem Schiff noch die Fluche von Nelson. Mitten in dem Wirrwarr kam ihr eine schreckliche Ahnung: Sie würde Aleix nie wiedersehen.

(Die Versinkende Stadt [Camí de sirga], 1988, s. 189-190)

Aus dem Katalanischen übersetzt von Katharina Wieland ©


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