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Miquel de Palol

3. Alemany [Muster von alltäglichem Sex]

Muster von alltäglichem Sex
TRAUM UND BEGIERDE IN CIACONA

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Heute habe ich von der Zeit geträumt, als ich sie vögelte. Noch schmerzhafter als die Erinnerung an die Geschehnisse ist die mit der Zeit verschwommene, ungewisse Erinnerung an die Wünsche, an die unmittelbaren Erwartungen. Ist das das Beste was wir hatten? Denn dann hätten wir jetzt genug von diesem Bild, wir bräuchten keine Orgasmen mehr, keine sexuellen Heldentaten. Ich könnte glücklicher sein – ganz einfach wäre das– wenn ich mich nicht daran erinnern würde, wie ich sie vögelte, wenn ich mich nur an ihren Blick erinnern würde hin- und hergerissen zwischen Zustimmung und Begierde, das eine verdeckt vom anderen.

Wie das Lustige vor der Tragödie ist das sexuelle Vorspiel, das, was höchste Befriedigung verleiht. Das, was vorher passiert, besonders der zufällige Touch, den es dem verleiht, was danach kommt, ist der wahre Motor der ’Erregung, und nicht das Material an sich. Nicht der Anblick der geöffneten Möse, die preorgasmische Unruhe entfachen das Feuer, sondern das zweideutige Willkommen der bekleideten Frau, ihr Blick und ihr gleichgültiges Lächeln zu den drei verfügbaren männlichen Wesen, die sich ihr nähern, wohl wissend, dass gleich das Saugen an der Brust, das zur Schau stellen von glänzenden Adern, die Zunge im Hintern, Purzelbäume, ein extremes sich Öffnen, Dehnen, Erröten, vielfache, gleichzeitige Penetrationen, Nässe, Gekreische kommen werden.

Danach, in voller Aktion, ist es dann das Getöse, was am meisten reizt? Wenn wir seine Stärke an seiner Dauer auf dem Höhepunkt messen, dann nicht, sondern vielmehr die Potenzierung dessen, was man sieht in völlig unpassenden, unzusammenhängenden Gedanken, zum Beispiel: «Sie ist sehr intelligent», oder «Sie hat sich erst vor einer Dreiviertelstunde enthaart, und es vermischen sich zwei Reize unterschiedlicher Herkunft». Diese Details ermöglichen mir es, mich daran zu erinnern, dass ich sie gevögelt habe, obwohl ich weiß, vor allem wenn ich sie neben mir habe, so liebevoll zu mir, so distanziert, dass ich sie nie gevögelt habe.

Ich könnte sagen: Ich weiß, dass jener Körper, an den ich mich erinnere, niemals mehr mir gehören kann, und ich würde mich selbst für immer im Zweifel lassen. Es wäre kein wirklicher Zweifel, das kann ich nicht, denn das, was mich Schwanken ließe, wäre nicht einmal sicher. Es wäre nicht das Gleiche, sagen zu können: Ich weiß, dass jener Körper, an den ich mich erinnere, niemals wieder mir gehören wird, denn diese Variante würde eine literarische Möglichkeit eines vorübergehenden Zufalls offen lassen, welche dem Ganzen eine reale Dimension des Möglichen geben würden. Und die Geschichte hat ein bisschen von allem, nur keine realen Züge.

Sie war die einzige Frau an jenem Wochenende, und sie bewegte sich anmutigst zwischen meinen Freunden mit einer entmutigend attraktiven Autorität, umso spürbarer, da sie kaum wahrnehmbar war: Sie wussten, dass sie unnahbar war, sowohl für sie als auch für mich, dass wenn ich es hätte sagen können, ich weiß, dass dieser Körper, an den ich mich erinnere, nie mehr mir gehören wird, obwohl ich sie auf bestimmte Weise in meiner Reichweite hätte; aber ich war Giges und Candaules gleichzeitig, der perfekte glückliche Dumme, unnütz und triumphierend, ohne zu wissen, womit ich das verdient hatte. Und ich wusste, dass ich es nie wissen würde.

Im schlimmsten Moment der ganzen Nacht wurde ich vorgeführt:

Morgens zähle ich die Flöhe
In der neuen Decke.
Nachmittags, na und!
Brennt die Sonne, und ich ersticke.
Um zwölf, wenn die Uhr schlägt
Bringen sie meinen Kopf zum Bersten.
Es ist mir kein Trost zu wissen,
ob mir jemand nachfolgen wird.

Wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie alle gevögelt. Und ich fühle mich, als ob ich es getan hätte.

Das alles kommt mir jede Nacht noch in den Sinn, wenn sie neben mir einschläft. Neben mir, Lichtjahre von mir entfernt.

Ein leerer Zug, ohne Lichter, durchquert mit Höchstgeschwindigkeit einen Bahnhof und es bleibt der Nachhall eines donnernden Windes. Es bleibt der zitternde Raum einer unwiederbringlichen Leere.

Berlin, 1-2.V.2002


Übersetzung aus dem Katalanischen von Katharina Wieland ©

Amb el suport de:

Institució de les Lletres Catalanes