Autors i Autores

Joan Francesc Mira

3. Alemany [Borja, Papst]

IX Der Tod eines Papstes ist nicht wie der Tod eines Königs, es gibt keine Königinwitwe, die ihn beweint und den Trauerzug anführt, keine Kinder, keine angesehene Königsfamilie und vor allen Dingen keinen Kronprinzen, wenn ein Papst stirbt herrscht große Angst in den Straßen von Rom, wenig Tränen bei Hofe und ein großes Machtloch, so als würde mit dem Ableben jedes Pontifex eine Dynastie ausgelöscht und in Windeseile eine neue gefunden, oder so als würde das Herrscherhaus alle paar Jahre wegen des Todes des Patriarchen gestürzt und am selben Tag noch die Verwandten und die Gefolgschaft des Hauses und der Dynastie von der Macht, aus dem Palast verstoßen und in den Straßen ungestraft verfolgt werden können, darin besteht die einzige Freude der Römer zwischen einem Pontifikat und dem nächsten, die Familie und die Anhänger des Verstorbenen zu verfolgen, ihre Häuser zu plündern, in der Gewissheit, dass niemand sie verteidigen wird, keinerlei öffentliche Hand oder die Macht eines Herrschers ihnen Einhalt gebieten kann, und der Nachfolger sehr wahrscheinlich ein Feind seines Vorgängers ist. Kein christliches Reich könnte einen solchen, alle fünf, zehn oder fünfzehn Jahre stattfindenden Übergang durchmachen, ohne sich bis an die Wurzeln seiner eigenen Fundamente zerstört zu sehen, wir Machthaber von Rom hingegen ertragen das seit vielen Jahrhunderten, wahrscheinlich weil unser Fundament der Fels Petri ist, anders ließe es sich nicht verstehen, dass wir schon seit langer Zeit unter den Trümmern dieses unannehmbaren Systems verschüttet sind, denn Republiken mögen vielleicht keine Dynastien brauchen – auch wenn selbst das nicht ganz stimmt, seht doch die Medici in Florenz -, die Monarchien aber schon, und die Kirche Christi wird nie republikanisch sein können, sondern immer einen Herrscher haben, und das immer ohne rechtmäßige Nachfolge, es liegt nicht in meiner Hand, einen Ausweg aus dieser vetrackten Situation zu finden, schwieriger als die der Sophisten Joniens; und es wird ihn auch niemand finden, weil die Lösung nicht darin liegt, dass der Pontifex Roms nicht mehr Monarch seiner Länder sein darf, denn wenn er kein König ist, würde er zum Untertan, wenn er kein Fürst ist, wird er zum Vasallen und Diener, das widerfuhr während tausend Jahren den Patriarchen des Ostens, die nur Schatten und Getreue der Kaiser von Konstantinopel gewesen sind, aber uns Bischöfen von Rom erlaubt das die Primatswürde nicht, wir können uns Diener Gottes nennen, aber keinem anderen Herrn dienen. Stadt und Kurie bezahlen dafür ihren Preis, dass beim Ableben eines Papstes auch die einzige Quelle der Autorität verschwindet, der dienstälteste Kardinal nur dazu da ist, Gesandte mit Belanglosigkeiten abzuspeisen, das weiß ich nur zu gut aus eigener Erfahrung, und der Kardinalkämmerling kann gerade noch über Schatz und Schlüssel wachen, wenn nämlich das Kardinalskollegium nicht gemeinsam und entschlossen handelt – was nur allzu oft vorkommt -, ist das Chaos der einzige Herr Roms, die Wache verschanzt sich vorsichtshalber im Kastell, und ein paar Tage erlebt die Stadt, was die berühmte Freiheit heißt, rette sich wer kann, die Toten werden nicht einmal gezählt, ebenso wenig die Plünderungen, und wenn der Palast eines Kardinals in Brand gesteckt wird, gibt das Anlass für ein ausgelassenes Feiern. Unterdessen ist die Kurie gelähmt und voller Gerüchte, was denn beim nächsten Konklave geschehen, wer künftig Ämter und Ehren verteilen wird, welche Belohnungen und welche Racheakte zu erwarten sind. Zwischen dem Tod von Innozenz VIII und meiner Wahl gab es ein sehr kurzes Interregnum, bloß neun Tage Trauer und vier Tage Konklave, aber zu lang für die über zweihundertzwanzig Toten, die in so, kurzer Zeit ermordet im Staub der Straßen oder in den Wassern des Tiber endeten, diese Toten habe ich nämlich sehr wohl zählen lassen, während die Orsini auf der einen Seite und die Colonna auf der anderen die Tore Roms belagerten, angestiftet von Ferdinand von Neapel oder aber aus eigenem Antrieb, um allen in Erinnerung zu rufen, dass eine Papstwahl nicht ohne die Zustimmung der Barone stattzufinden hat, dieses Konklave jedoch ging nicht nach Wunsch der römischen Herren und der aragonesischen von Neapel aus, sondern so, wie es Roderic Borja vorgesehen hatte, und das haben wir nie vergessen, weder sie noch ich, so wie ich auch nicht vergessen habe, auf welche Weise Giuliano Della Rovere den sterbenden Papst daran hinderte, mir die Kommandantur der Engelsburg zu übertragen, die mir als dienstältestem Kardinal zustand und die Garantie und der Schlüssel der Stadt sind, und wir stritten heftig am Krankenbett; an meine Worte kann ich mich nicht mehr erinnern, wohl aber an die von Della Rovere, der mich lauthals anschuldigte, Feind Italiens und der Kirche, Jude und Ausländer zu sein, und als er mich schließlich einen katalanischen, verkappten Juden nannte, schlug der sterbende Papst die Augen auf und sagte nein, mir würden die Schlüssel des Kastells nicht übergeben. Und danach begann der lange Endkampf um die Krone, den ich nicht verlieren durfte, und wenn es auch stimmt, dass nicht alle von mir eingesetzten Mittel sauber waren, muss ich doch sagen, dass sie nicht schmutziger gewesen sind als die meiner Feinde, ich schürte nicht zu meinen Gunsten die Phantasie des Volks wie Kardinal Giuliano, der in einer jener Nächte auf dem Dach seines Palastes seltsame Lichtspiele veranstaltete, so als würden Feuerzeichen vom Himmel herabkommen, genauso wenig wie die Anhänger des Königs von Neapel, die weismachen wollten, dass nach dem Tod von Innozenz VIII die Sonne dreifach im Osten aufgegangen sei, was bedeutete, dass die Tiara der drei Kronen dem Willen eines bereits gekrönten Königs entspringen müsse, der keinen Kredit von dreihunderttausend Dukaten bei der Bank hatte wie Della Rovere, hunderttausend von Genua und zweihunderttausend von Neapel; er verstand es wie kein anderer die italienischen Karten zu mischen, und wenn er damals nicht gewonnen hat, dann sicherlich nicht wegen fehlendem Spieleinsatz. Ich weiß sehr wohl über die Anschuldigungen bescheid, meine Wahl sei gekauft gewesen, aber das hieße, zu einfache Erklärungen für wesentlich komplexere Sachverhalte abzugeben, wie dem auch sei, ich jedenfalls habe mit allen meinen Gütern und Pfründen bezahlt, während die anderen es mit klingender Münze getan hätten, und die ehrlichste Transaktion für das Erlangen der Tiara war immer noch der Einsatz von Eigenmitteln und nicht, sie mit Bankkrediten zu kaufen, das war jedoch nicht das Geheimnis des Konklave, es ging nicht darum, wer mehr mit Dukaten gefüllte Beutel einsetzte, mehr Bistümer oder mehr Erträge in Aussicht stellte, das Geheimnis liegt im ewigen italienischen Gerangel zwischen Norden und Süden, von Neapel gegen Mailand mit Rom als Pfand, und ich spielte nur für mich allein. Die Bündnisse der Italiener sind unverständlicher und sprunghafter als die Wünsche eines Jungen oder die Gelüste einer Kurtisane, es gibt keinen beständigen Pakt zwischen den Familien oder den Staaten, und wer dich heute vernichten will, ist morgen vielleicht, wenn es gelegen kommt, dein nützlichster Freund, auf das zählte ich damals und habe immer darauf gezählt, weil dieses Land wie das meine ist, mit wandelbaren Liebes- und Hassgefühlen, wenig starkem Willen und spärlicher Beständigkeit, wenn es darum geht, etwas durchzusetzen. Meinen Onkel haben die italienischen Kardinäle zum Papst gemacht, weil sie eine Ruhepause in der Auseinandersetzung der verschiedenen Seiten und Lagern brauchten, und weil sie glaubten, mit einem schwachen alten Ausländer nach Belieben umspringen zu können; mich hingegen haben sie gewählt, weil ich es verstanden habe, mit ihnen mein Spiel zu treiben, vielleicht bin ich selber nach so vielen Jahren der Beobachtung und des Lernens mehr Italiener als sie alle zusammen, ein Meister der Italiener.

(Borja papa [Borja, Papst], 1996)

Aus dem Katalanischen übersetzt von Theres Moser ©

Amb el suport de:

Institució de les Lletres Catalanes