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Maria Barbal

3. Alemany [Innenleben]

Ramon hatte uns an einem Samstagmorgen begleitet, du konntest nicht rechtzeitig fertig sein, weil du alles aufgeräumt zurücklassen wolltest, obwohl Regina, bevor sie zur Arbeit in den Friseursalon eilte, zu dir gesagt hatte, dass sie mit ihrer Mutter essen gingen und am Nachmittag alles blitzsauber sein würde. Niemand würde dich hinauswerfen, weil du im Haus „für rein gar nichts zu brauchen“ warst. Mein Bruder war charmant gewesen und hatte festgestellt, dass Anna hübsch war. Regina hatte mich mit einer kräftigen Umarmung begrüßt, blieb aber distanziert. Als sie deine Umtriebigkeit um mich herum wahrnahm, wurde sie wieder zum Waisenkind. Ihr trauriger Blick zeigte mir, wie sehr sie versucht hatte, lieb und gut zu sein. Ich hätte sie gerne gewarnt, aber ich versuchte es noch und glaubte nicht an die Ausweglosigkeit. Sie hatte zugenommen, aber die Knöpfe ihrer Bluse drohten schon nicht mehr ihre Brüste freizugeben. An jenem Morgen sahen wir sie fortgehen, die ärmellose Schürze mit den Buchstaben auf der Tasche über den rechten Arm gelegt. In ihrem straffen Körper ließ sich ein Hauch von verletztem Stolz oder Zurückhaltung erahnen. Ramon entspannte sich, als du oder sie nicht da waren, er rauchte nicht einmal.

Wir hatten uns mittags in deinem Dorf eingefunden, und im Haus hinten am Platz Quartier bezogen. Du, ich, Anna und das Kind. Aber vorher hattest du unten an der Treppe geweint.

Johnny hatte dich an den kleinen Bruder denken lassen, der im Auto geblieben war, während du, die Tante und die Großmutter hinausgezerrt wurden. Das Kind war wie ein Vogel aus dem Auto gesprungen, lehnte seinen schmalen Körper an das Treppengeländer und starrte uns an. Mit dünner, belegter Stimme hattest du erklärt, dass eine Nachbarin den Soldaten zugerufen hatte, dass dieses kleine Kind krank wäre und die Alte es pflegen könnte. Als wir schließlich losfuhren hatte Onkel Tomás mehr oder weniger das Alter von Johnny. Niemand hatte es gewagt, das Getreide aus dem Speicher zu schütten oder die Hühner herauszulassen, wer auch immer im Haus zurückgeblieben war. Ihm ist zu danken, dass ihr nach der Rückkehr aus von Aragon etwas zu essen bekamt. Du hattest mir kaum von dieser so hilfsbereiten Nachbarin erzählt.

Es war geschehen, unmittelbar nachdem Ramon den Arm gehoben hatte und das Taxi umkreiste, in dem wir den Platz und das Dorf verlassen wollten, während ich die Hände voll hatte mit den Dahlien und Gladiolensträußen, die Rosalia morgens im Garten abgeschnitten hatte, um die Kirche feierlich zu schmücken.

Es war entspannt an jenem Tag vor der Hochzeit in ihrem Dorf, wo sie alle vier vergnügt zusammen saßen. Wir putzten das Haus, die Treppe und sogar die Fenster. Du kochtest uns ein einfaches, köstliches Mittagessen, Annas Wangen wurden röter, was sie noch hübscher aussehen ließ, und der Junge aß unter deinem strengen Blick alles auf seinem Teller auf.

Wir gingen zum Fluss. Du zeigtest uns die verpachteten Wiesen, die ganze Schönheit der noch grünen, vom Wasser gespeisten Berglandschaft, und erzähltest uns von Blütezeit und weichen Wolken. Meine Freundin, stets in Gesellschaft übertriebener Frauen, fand dich viel faszinierender als die Landschaft und nahm die ganze Energie wahr, die im Raum schwebte. Johnny und ich zogen es vor, uns aus dem Gespräch herauszuhalten. Wir gingen vor Anna und dir, ich fluchte vergeblich, nichts von den so berühmten Festen mitzubekommen. Plötzlich wurde deine Stimme rau, wie ein dunkler Nebel im Sommerhimmel. Du sagtest, als der Großteil der Familien uns den Rücken zugekehrt hatte, dass sie Großvater umgebracht hatten, und brülltest wieder wie am Spieß. Johnny hatte dich mit seinen dunklen Augen angestarrt, irgendjemand hatte ihm wohl weisgemacht, dass nur kleine Kinder weinen. Anna nahm deine Hand und drückte sie, so wurdest du gleich wieder ruhig, nachdem der Regen aufgehört hatte. Ich hatte mich einmal mehr getäuscht. Ich hielt es für möglich, so deinen Kummer leichter zu machen zu können.

Der erste Sommerabend im Juli 1970 brach an. Es duftete noch nach frisch gemähtem Gras und nach den Blättern der Eschen über dem eiskalten Strahl des Brunnens auf dem Dorfplatz, in den Häusern war es still und einen weiteren Sommer lang würde die Bretterbühne ohne Musiker sein, weil die Familien in verschiedenen Städten verstreut lebten, sowohl die Nachkommen der Reichen wie die der Armen. Seit langer Zeit gab es schon keine Knechte und Mägde mehr, auch keine Taglöhner für die Mahd oder Frauen, die beim Sauschlachten Würste machten. Hinter den dicken Mauern der Häuser Melis, Tora, Pla, ertrugen ein paar Alte die Sommerhitze und am Holzfeuer Herbst, Winter und Frühling.

Du begannst zu kochen, während Anna und ich uns um die übrigen Dinge kümmerten: mit dem Geschirrtuch über Teller, Besteck und Gläser wischen, den Tisch decken, Eiklar für den Kuchen zu Schnee schlagen, die Arbeiten tun, die im Voraus gemacht werden konnten.

In der Kirche, als beide mit Johnnys Hilfe den Blumenschmuck verteilten, kam ich auf den Vater zu sprechen, erwähnte, wie großartig er gewesen war und auf welch absurde Weise sie ihn verloren hatte.

»Jetzt hebst du ihn aber in den Himmel«, erwiderte sie.

Im Inneren der Kirche war es kalt und die Beleuchtung nur ganz schwach. Als wir hinaustraten waren Licht und Sonne so gleißend wie immer in heißen Sommern. Nach dem wohlgemeinten Rat, das Fest nicht von der Trauer um den Vater überschatten zu lassen, tat mir die Stille wohl. Bilder der Dorffeste zogen rasch in meiner Erinnerung vorbei: all diese lauten Stimmen an dem langen, in den Schatten gerückten Tisch, das Gelächter und dann, unvermutet, dein Weinen. Ich sah mich als ganz kleines und glückliches Kind: stolz in den hellen, rüschenbesetzten Kleidern, wie ein Schmetterling von einem Arm zum nächsten schwebend. Später in kurzen Latzhosen, so groß wie Johnny und fest entschlossen, wie Ramon zu sein, um mehr Nachsicht von dir zu bekommen. Schließlich als junges Mädchen, das den Erwachsenen und vor allem deiner Macht da und dort auswich. Und das Bild des letzten Dorffestes mit Regina, Ramon und Konrad, Sohn der mit uns verfeindeten Familie, als meinem Tanzpartner. Es war bitter, daran zu denken, mit welcher Kraft jene Verliebtheit in mir aufstieg, die mich von dir entfernte. Seit einer Weile schon blickten mich vorwurfsvoll Annas Augen an und fragten mich, wie ich mich schweigend aus deinem Leben zurückziehen hatte können.

(Fragment País íntim, 2005, S. 251-253)

Aus dem Katalanischen übersetzt von Theres Moser ©.


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