Autors i Autores

Salvador Espriu
1913-1985

Tereseta que baixava les escales.

3. Deutsch [Tereseta-que-baixava-les-escales]

I
 

«Das gilt nicht, das gilt noch nicht, du schummelst. Du musst die Augen zumachen und dich mit dem Rücken zu uns stellen, mit dem Blick auf Santa Maria. Aber du musst zuerst einmal rundherum gucken, in die Straße Corders, in die Straße de la Bomba, Rera-la-fleca, die Straße de l’Església und den kleinen Platz. Nein, nicht zum Bach, denn da würden wir im Sand versinken, die Runde ist schon groß genug. Wenn wir es tragen, werden wir es nie schaffen, und andersrum ist es zu müde. Das Pfarrhaus, mit der Lehmwand, seid ihr damit einverstanden? Nun aber, wir dürfen nicht schummeln. Teresa hör auf, los, rennen wir. Das gilt nicht, du blinzelst, Teresa, Mädchen, ich hab’s dir doch schon gesagt, du musst dich mit dem Rücken zu uns stellen, mit dem Blick auf Santa Maria. Wenn du das so machst, musst du auch nicht die Augen schließen, aber du darfst dich nicht bewegen, bis wir rufen. Also, habt ihr mich verstanden? Die Straße de la Torre ja, gehen wir wieder dorthin. Nicht am Bach entlang, nein, der Sand stört. Sollen wir noch mal zählen? Wir haben schon gezählt, Teresa. Bist du nicht einverstanden? Wir verlieren nur Zeit! Es wird bald dunkel, die Schiffe legen an, und wir haben noch nicht einmal mit dem Spielen begonnen. Die “Panxita” kommt zurück aus Jamaica? Na und! Mein Vater war noch weiter weg, in Russland und so. Er kam mit einem Pelzmantel und er war so behaart, das er wie ein Bär aussah. Als er hereinkam, um Gott für die heile Rückkehr zu danken, begrüßte ihn Bruder Josep d’Alpens, der auf der Kanzel stand, spaßeshalber als ob er der Teufel wäre, das erzählt mein Vater immer. Auf, spielen wir oder spielen wir nicht? Scheinbar ist eure Fregatte die einzige auf der Welt. Au, Mädchen, was bist du nur für ein Dickkopf! Zählen wir, und wer dran ist, darf nicht meckern. Ene mene miste, es rappelt in der Kiste, ene mene meck und du bist weg. Du, noch einmal. Tereseta, laut. Verteilen wir uns. Hinkst du, Bareu? Wartet mal, Jungs, Bareu hinkt. Kriegt er mehr Zeit oder soll er auf die Mühle aufpassen? Gut, er soll helfen, darauf aufzupassen. Meckere nicht, Tereseta, du bleibst nicht allein. Los, jetzt aber. He, umdrehen! Wenn Bareu, ob er nun humpelt oder nicht, den Wächter macht, ist es fast unmöglich für uns, ans Pfarrhaus zu gelangen. Wer ruft “fertig”? Nein, Teresa, nein, wir haben uns noch nicht versteckt. Geh noch nicht die Treppe runter, Tereseta, du sollst sie noch nicht runtergehen, da hat ein Dummkopf zu früh geschrieen. Entschuldigung, ich bin umzingelt, ich bin gefangen? Dass du so wenig Lust hast, zu spielen! Und es macht dich wütend stehen zu bleiben, sieh mal an. Geh nicht die Treppe runter, hörst du mich?, geh nicht runter. In Ordnung, genug gestritten! Ja, jetzt darfst du mir nachrennen, ich gebe nach.»
 

II
 

«Hast du sie nicht gesehen? Junge, woher kommst du, wenn sie gestern zurückgekommen sind! Dieses Mal war es eine größere Reise von drei Monaten, über die Ostsee und dann auf dem Landweg, natürlich, durch Deutschland, die Schweiz, Mailand, Venedig und Florenz. Sie haben die “Panxita” in Danzig gelassen. Es ist schon seltsam, sie sollten eigentlich nicht nach Italien fahren, weil die Reise nur übers Meer führte, eine Handelsreise. Sie mussten den Kapitän überzeugen, eine Vergnügungsreise daraus zu machen, eine romantische Rundfahrt. Der Vater gewährt ihnen alles, was sie verlangen. Jetzt strahlen sie, erzählen und hören nicht auf damit. Sie haben Berge herrlicher Sachen mitgebracht: Kristallwaren aus Trieste, Porzellan aus Capodimonte, Marmor, Seide, Münzen. In Fiesole haben sie Vicenç de Pastor getroffen, oder er ist ihnen über den Weg gelaufen, denn er liebt Teresa. Ich vermute, dass er nicht wirklich triumphiert hat, sie ist nämlich dickköpfig und mag keine Vertraulichkeiten. Ja, sie sind sehr schöne Mädchen, und Teresa noch mehr als Julia, nicht wahr? Ich bin überzeugt, Teresa ist schöner. Vor allem seit ihrer Rückkehr nehme ich ein Leuchten in ihren Augen wahr, ein gesammeltes, fernes Licht, eine verborgene und gleichzeitig greifbare Freude. Julia ist feinzügiger, aber sie ist auch glatter und sie ist empfindlich. Ihre Mutter starb an Schwindsucht, das war vielleicht ein Schlag für den Kapitän. Das und der Ärger mit dem Sohn, dem missratenen Jungen. Ich glaube, dass er jetzt in Trinidad ist, inmitten von Negern und weißem Pöbel. Er hat eine Kreolin geheiratet, vielleicht sogar eine Mestizin, sie haben ein kümmerliches Kind, ein buckliges Mädchen, und ich denke, dass sie ganz schön zu knabbern haben. Da kommen sie schon. Schau, wie sie die Kirchenstufen hinuntergehen, ihre Kleider schleifen nicht einmal auf den Stufen. Teresa ist großartig, Julia ist für dich. Ja, lach du nur, lach nur, aber sie sehen aus wie Königinnen, und heute Abend, beim Laubenball, werden sie die Königinnen sein.»
 

III
 

«Grüß Teresa nicht, grüß sie nicht, sie sieht niemanden. Wie hat sie sich verändert, sie, die so fröhlich war! Es sind aber auch harte Schläge, einer nach dem anderen. Julia ist gestorben, nach langer Krankheit und monatelangem, mutigem Kampf gegen den Tod. Am gleichen Tag, an dem sie starb, lief die “Panxita” im Rhonedelta auf Grund. Das war nun kein großer finanzieller Verlust, denn Vallalta ist reich, aber er liebte seine Fregatte doch so sehr! Seit dem Schiffsunglück ist er nie mehr an Bord eines Schiffes gegangen, er hat das Segeln aufgegeben. Er verbringt die Tage in la “Pietat”, seinem Garten, inmitten von Bäumen und Büchern und betrachtet das Meer aus der Ferne. Dieser Mann, der vormals so stark war, ist nun ein alter Zauderer, ganz verbraucht. Er erzählt nicht mehr seine Seefahrergeschichten, er verliert die Erinnerung daran. Was das mal für ein Mann war! Man behauptet sogar von ihm, dass er, der Gauner, an der Expedition von Barceló nach Algier teilgenommen hat, im letzten Jahrhundert, als er noch keine Rechenschaft darüber ablegen musste, und danach war er überall, in Ilo-Ilo, in Mexiko, auf den Nicobaren, in Neuseeland, in Odessa, aber jetzt will der Kapitän nur noch in Ruhe unter seinen Bäumen sterben und seine Tochter kümmert sich um ihn. Ja, Teresa ist eine vielleicht vierzigjährige Frau, vielleicht ein bisschen älter, und Vicenç de Pastor wartet noch immer auf ein Wort von ihr, aber Teresa liebt niemanden. Grüß sie nicht, das nützt nichts, sie wird dich nicht sehen, sie geht instinktiv die Treppen hinunter.»
 

IV
 

«Schau mal, wie sie die Treppen hinuntergegangen ist, was für eine Frau! Mit dem Schritt einer Dame, langsam, bedächtig und leicht zugleich, gleichmäßig und sicher, eine Schule und ein Stil vergessener Zeiten. Ja, Teresa ist sehr alt, das weiß du doch, sie ist so alt wie ich. Ob ich mich daran erinnern kann? Wir haben so viele Male zusammen gespielt, auf dem kleinen Platz, Fangen, Verstecken, Räuber und Gendarm oder Hüpfkästchen. Das ist lange her. Jetzt scheint uns das Dorf größer, riesig, farbenfroher, anders. Auf unseren Touren haben wir immer neue, verborgene Winkel entdeckt. Jeden Nachmittag warteten wir auf dem Sand auf das Anlegen der Schiffe und manchmal auf die Rückkehr eines Segelbootes aus den weiten Fernen Amerikas oder Chinas. Mein Vater war auch Kapitän und kam bis nach Russland, über zugefrorene Meere, indem er Eisriffe umschiffte. Er kam dann zurück, mit Pelz bekleidet, wie ein Bär, und in der Kirche löste er mit seinen zur Schau gestellten Luxus einen Skandal aus. Alles vorbei. Eines Tages, gegen Abend, schlichen wir das Bachbett empor, in der freudigen Hoffnung auf ein verbotenes Abenteuers. Wir kamen fast nur tastend voran, und der Hauch eines Wunders schwebte über uns. Da war vielleicht ein Spinnennetz, wie Nebel auf dem Remei und ein plötzlicher Regenschauer, wie ein Hexenzauber hinter uns in la Muntala. Bei der Rückkehr erzählten wir unseren Großmüttern, dass wir ein Gespenst gesehen hätten. Alles vorbei. Wir wurden größer, ich heiratete. Teresa und ihre Schwester Julia, die an der Schwindsucht starb, vor vielen Jahren, reisten mit Kapitän Vallalta auf der “Panxita”. Später erlitt die Fregatte Schiffbruch und kurze Zeit später starben Julia und der Alte. Und jetzt, sieh mal an, geht Teresa an mir vorbei ohne mich anzusehen, mit ihrer buckligen Nichte hinter ihr, wie der Schatten eines Hundes, sie streift mich im Vorbeigehen und schaut mich nicht einmal an, und meine Familie stammt aus einer mindestens so klaren Linie wie ihre, und ich muss sie höflich anreden, wie ein kleiner Handwerker. Alles hat sich verändert. Teresa ist eine traurige Alte, sie kann nicht lachen. Und das Dorf kommt mir, und ihr sicher auch, so klein vor, so leer und so verlassen! Früher stellen wir es uns in unserer Phantasie wie in eine Wolke eingehüllt vor, grenzenlos. Die Straße de la Bomba, Rera-la-fleca, die Straße de la Torre. Teresa rannte wütend die Kirchentreppe hinab, und sieh dir an, wie sie sie jetzt hinuntergeht. Ja schon, wie eine Frau, mit dem Schritt einer Dame.»
 

V
 

«Ganz wie du meinst, die Kiste der “Fregatte” soll sie nicht aus gutem Holz sein? Ja, die Nichte ist eine Heuchlerin, gehen wir, aber sie würde nie auch nur einen Cent an einem so wichtigen Detail sparen. Letztendlich fließt das gleiche Blut in ihren Adern, und sie wird sich nicht dem Gespött der Leute aussetzen. Sieh mal, sie war Dienerin oder schlimmer und jetzt ist sie Herrin: So ist das Leben. Herr Vicenç de Pastor, wie ist er krumm geworden! Er scheint ein Axiom zu sein. Enttäuscht, so alt und allein, und man sagt, dass er sie immer geliebt hat, stell dir mal vor. Ja, eine ganze Menge Leute, so ein Spektakel sieht man nicht oft, es sterben nicht jeden Tag “Fregatten”. Uff, ganz schön reich, rechne mal pro Kopf zweihunderttausend Unzen und das ist vielleicht noch wenig. Der ganze Batzen für die Bucklige. Ach, nein, Mädchen, nein, ich bin nicht neidisch. Gott hat mich rechtschaffen und gleich gemacht, und mir eine gute Gesundheit gegeben. Das ist mir lieber. Vergiss es! Sieh mal, wie sie sich alle um sie scharen, gestern haben sie sie noch alle gemieden wie der Teufel das Weihwasser, und sieh mal an wie sie sie heute hofieren. Alle sind gekommen: die dicke Bòtil, Coixa Fita, Caterina, Narcisa Mus. Die drei letzten haben die Alte ins Leichentuch gewickelt, weil es Paulina, ihre Nichte, nicht konnte, und jetzt lästern sie hinter vorgehaltener Hand, die falschen Kühe. Weißt du, was mir Narcisa erzählt hat? Stell dir vor, während sie die Decke der Toten gesucht haben, haben sie ein paar blonde Locken gefunden und das Porträt eines Mannes in einer kleinen Schachtel, das Porträt eines großen, kräftigen Jungen. Und, warte mal, es stand auch ein Name darauf, ein seltsamer Name, fast wie französisch. Und niemand hatte je etwas geahnt, da sie so viel unterwegs war! Und sie, so verhärtet, so stolz. Sie grüßte die Patin nicht, meine Patin, Gott möge es ihr verzeihen, denn sie war arm, und dabei hatten sie doch zusammen gespielt, als sie klein waren. Du siehst also: eine, die alles verbirgt. Gehen wir, aber, das ist nur eine Vermutung, Tatsache ist, dass sie vielleicht nie etwas Böses getan hat. Ruhe, sie tragen sie schon herunter. Sie muss ganz schön schwer sein, und die Treppe ist so schmal, hoffentlich stolpern sie nicht. Das Holz ist teuer, kein Zweifel, es ist teuer, wie ich dir schon gesagt habe. Die die Bahre tragen schwitzen, sie tun einem Leid, schau nur, wie sie schwitzen. Schauen wir mal, ob sie sie nicht die Treppen hinunterfallen lassen.»

("Tereseta-que-baixava-les-escales", in Narracions. Barcelona: Edicions 62, 1974, p. 9-16)
 

Übersetzung aus dem Katalanischen von Katharina Wieland ©

Amb el suport de:

Institució de les Lletres Catalanes