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Montserrat Roig
1946-1991

Deutsch [Zeit der kirschen]

"Neben ihr fiel eine Studentin in Ohnmacht, Natàlia bemühte sich, zu ihr zu kommen, aber sie geriet wieder in den Sog der Wellen, in die Strudel, als wäre sie ein Boot in Seenot und die anderen Tiere, die an ein Schöpfrad gekettet waren. Die Schläge hörten nicht auf, einige Studenten versuchten, zur Durchgangstür zum Hof der Geisteswissenschaftlichen Fakultät zu gelangen, aber sie blieben stecken, es gab kein Entrinnen. Sie ballten sich zusammen und bemühten sich, den Ausgang freizukämpfen, aber eine Reihe von Grisos war auf der anderen Seite schon in Stellung gegangen, und sie trieben sie hin und her wie ein Wollknäuel. Die Polizisten prügelten wild drauf los, unablässig, immer auf denselben Punkt, direkt vor ihnen. Ihre Augen traten aus den Höhlen, ihre Gesichter waren aschfahl, vielleicht vom Widerschein der Uniform, die Pupillen blutumrandet, die Zähne zusammengerpreßt, ihr Blick wirkte abwesend, und sie prügelten ohne Rücksicht auf Verluste, wie wild gewordene Tiere, oder wie Hunde, die man nach langem Leben an der Kette freigelassen hatte. Die zusammengepferchten Leute liefen ständig im Kreis herum, um nur ja nicht in der vordesten Reihe, in Reichweite der Schlagstöcke zu landen. Die Prügelnden registrierten nicht, worauf sie einschlugen, es sah aus, als schlügen sie auf schemenhafte Wesen, deren Zerstörung, deren Auslöschung man ihnen befohlen hätte. Die Studenten gingen zu Boden, und die Schlagstöcke fuhren weiter auf die leblosen Bündel nieder. Irgendwo klirrte Glas, ein Junge mit bludenten Händen hatte es geshafft, die Glasscheibe einer Tür zu zertrümmern, und eine Gruppe Studenten versuchte, durch dieses Schlupfloch zu entkommen. Ein Student mit blutüberströmtem Gesicht taumelte... Endlich brachte eine Wellenbewegung Emilio und Natàlia zusammen, und er konnte sich ihre Hand schnappen. Zusammen mit Joan und einem anderen Mädchen stiegen sie schnell durch die Glastür. Taumelnd kämpften sie sich zum Garten durch, der die beiden Fakultätshöfe trennte. Joan schrie: Kommt her!, Hastig verschwanden sie in der Kirche, die im Halbdunkel lag. Ein paar Nonnen, die gerarde darin beteten, starrten sie verwundert an. Sie setzten sich alle vier in die erste Reihe und warteten eine ganze Weile lang ab. Als die Schlacht sich vom Hof der Geisteswissenschaftlichen Fakultät zu entfernen schien, gingen sie wieder hinaus.

Vielleicht waren sie eine Stunde in der Kirche gewesen. Draußen wurde es schon dunkel. In der Universität war alles ruhig, eine beängstigende Ruhe, und Natàlia hatte das Gefühl, einem Kampf entronnen zu sein. In der Ferne war Gebrüll zu hören. Sie traten aus der Tür der Geisteswissenschaftlichen Fakultät, die Polizei nahm immer noch Studenten fest, aber sie wurden nicht beachtet. Die Jeeps waren vollgepfercht mit Festgenommenem, die sie aus der Finsternis heraus anstarrten. Zu Fuß gingen sie bis Canaletes. Die hatten Wasserwefer und Pferde, die Schweine, sagte Joan, Morgen gibt's Generalstreik, stieß Emilio zwischen den Zähnen hervor. Morgen gibt's keinen Generalstreik, du wirst schon sehen, erwiderte Joan. Am Canaletes-Brunnen war alles ruhig, aber es schien so, als hätten sich de Tausende von Spitzeln versteckt. Rund um den Brunnen hatten sich etwa zwanzig Studenten zusammengefunden. Haufenweise Festnahmen hat's gegeben, ein Junge mit irrem Blick hatte sich ihnen genähert. Es war furchtbar, flüsterte das Mädchen, das mit ihnen gekommen war. Natàlia sah sie zum ersten Mal an, bis dahin hatte sie noch kein Wort gesprochen."

(Zeit der kirschen. Elster: Moss & Baden-Bade, 1992, S. 146-148)

Aus dem Katalanischen übersetzt von Volker Glab ©